Von Sumatra bis Lamento für Belgrad - Zu den poetischen Visionen des Serben Miloš Crnjanski – Frankfurt am Main: Peter Lang Verlag 2011

Auszug aus dem Buch (S. 80):

3.9.2 Kommentar zur Nachdichtung Lamento für Belgrad

Es liegen bisher schon mehrere Übersetzungen des Poems ins Deutsche vor. Die adäquateste und bis dato wohl bekannteste Nachdichtung ist die von Patrik Alač (vgl. Zeitschrift „Akzente“, 1/1995, S. 8 ff.). Für einen großen Dichter wie Crnjanski ist es nur gerechtfertigt, und eine Art Ehrenbezeugung seitens der Nachdichter, wenn viele unterschiedliche Übersetzungsversionen eines Gedichts entstehen. Dies trifft insbesondere auf ein so bedeutendes Poem wie Lament nad Belgradom zu.
Der Nachdichter steht vor dem Dilemma, dass der Titel ein Klagelied über Belgrad verheißt, denn der Originaltitel lautet Lamento nad Beogradom (Lamento über Belgrad). Im Gedicht selbst aber wird Belgrad angesprochen, idealisiert, und lediglich der räumliche Abstand des lyrischen Sprechers zur geliebten Stadt gibt Anlass zur Klage. Es handelt sich folglich nicht um ein Lied über die Stadt, sondern um einen Dialog mit ihr, um eine Ansprache. Daher wurde in der hier vorliegenden Fassung, anders als in der Erstübersetzung (Marks 2001), der Titel Lament nad Beogradom als Lamento für Belgrad übersetzt. Den scheinbaren Widerspruch kann der Nachdichter nicht lösen, da dieser von vornherein im Wesen des Poems begründet liegt und Crnjanski sich für diesen Titel entschieden hat. Das Lamento, die Klage, gerät in einen Zwiespalt, da sie sich durch den Tonwechsel der beiden Stimmen im Poem scheinbar aufhebt. Die Klage gilt dem Verlust und der eigenen Sterblichkeit, dem unabwendbaren Ende. Gemischt mit dem Bedauern um das Lassen-Müssen wird das Bild des Halts und Trosts durch die Stadt dagegen gesetzt, die sicher und beständig scheint. Belgrad ist eine Metropole auf dem Balkan. Sie ist für Crnjanski entscheidend. So beinhaltet das Poem Lament nad Beogradom auch das Motiv von der ewigen Stadt, nach der man sich sehnt und die, gleich, ob man in ihr sein kann oder nicht, bestehen bleibt. Der Klage, dem Erkennen des Verlusts wird dies immer entgegen gestellt. Beides, Trost und Sehnsucht, verkörpert die vertraute Stadt Belgrad für das lyrische Ich, das in der Fremde weilt. Diese Stimmung des Schwelgens, aber auch den gegensätzlichen Tonfall des lyrischen Ichs in der Beschreibung der realen, düsteren Welt, die ihn umgibt, galt es in der Nachdichtung wieder zugeben.

Cornelia Marks