David Albahari (*1948)


Bio-Bibliographie

DER IMMIGRANT <=> IMIGRANT


DER IMMIGRANT

Kürzlich sah ich mir eines der letzten Interviews von Saul Bellow an, in dem er humorvoll, aber auch mit langen Momenten der Stille, über sein Leben und sein Bedürfnis sprach, wie er sagte, „seine Rechnungen zu begleichen, bevor er für immer gehe“. Dieses atemberaubend ruhige Verhältnis zum Tod ist eine Geschichte für sich, über die ich gern schreiben würde, aber etwas anderes in diesem Gespräch zog mich in den Bann. Und zwar erzählte Saul Bellow in einem Moment, als er von seinem Integrationsprozess in Amerika redete, wie er auf der Beerdigung seines Vaters weinte, und wie damals sein Bruder zu ihm trat und sagte, er solle aufhören und sich wie ein Immigrant verhalten. Dieser Kommentar ließ mich aufspringen und das Interview ausschalten, denn wenn es eine Frage gibt, an der ich mir den Kopf zermartere (sowohl den eigenen als auch die Köpfe anderer), seit ich nach Kanada gekommen bin, so ist es die Frage, wie lange oder bis wann man ein Immigrant bleibt. Gibt es einen Augenblick des Wechsels, oder ist das ein Zustand, der andauert, das heißt, der nicht endet?

Natürlich, Saul Bellow ist kein Immigrant. Er wurde auf diesem Kontinent 1915 geboren, und das in Kanada, zwei Jahre nachdem seine Familie aus Russland übersiedelte, aber er lebte in einer Immigrantenfamilie, und später schrieb er oft über Immigranten in seinen Geschichten und Romanen. Eine Familienanekdote, die er erzählte, berührte den innersten Kern meines Wesens, denn sie kehrte sich sogleich in die Frage um, die ich bereits früher vermutete, obwohl ich sie niemals formuliert hatte. Die Frage lautet: Ist die völlige Zerreißung der Familienbande, also, der Tod der Eltern, die Voraussetzung dafür, dass sich die Kinder vom Immigrantenballast befreien?

Die Antwort kann ich ...

Aus dem Serbischen von Cornelia Marks


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David Albahari wurde 1948 in Peja (serbisch: Peć, ehemaliges Jugoslawien) geboren und ist ein serbischer Schriftsteller, der 1994 mit seiner Familie nach Kanada ausgewandert war.

Im ehemaligen Jugoslawien hatte er die englische Literatur und Sprache studiert und später u.a. Updike und Shepard aus dem Englischen ins Serbische übersetzt. Seine eigenen schriftstellerischen Werke wurden in vierzehn Sprachen übersetzt, und Albahari erhielt in seiner ehemaligen Heimat sowie in ganz Europa zahlreiche renommierte Literaturpreise für seine Romane und Kurzgeschichten.


Werke (Auswahl in deutscher Übersetzung):
• Beschreibung des Todes (Opis smrti). Aus dem Serb. von Ivan Ivanji. Wieser, Klagenfurt, 1993
• Tagelanger Schneefall (Snežni čovek). Aus dem Serb. von Mirjana und Klaus Wittmann. Zsolnay, Wien, 1997
• Mutterland (Majčina zemlja). Aus dem Serb. von Mirjana und Klaus Wittmann. Eichborn, Frankfurt/Main, 2002; Neuausgabe, überarbeitete Übersetzung. Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2013
• Götz und Meyer (Gec i Majer). Aus dem Serb. von Mirjana und Klaus Wittmann. Eichborn, Frankfurt/Main, 2003
• Fünf Wörter (pet riječi). Aus dem Serb. von Mirjana und Klaus Wittmann. Eichborn, Frankfurt/Main, 2005
• Die Ohrfeige (Cmok). Aus dem Serb. von Mirjana und Klaus Wittmann. Eichborn, Frankfurt/Main, 2007
• Ludwig (Ludvig). Aus dem Serb. von Mirjana und Klaus Wittmann. Eichborn, Frankfurt/Main, 2009
• Die Kuh ist ein einsames Tier (Krava je usamljena životinja). Aus dem Serbischen von Mirjana und Klaus Wittmann; Eichborn, Frankfurt am Main 2011
• Der Bruder (Brat). Aus dem Serbischen von Mirjana und Klaus Wittmann; Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2012
• Kontrollpunkt (Kontrolni punkt). Aus dem Serbischen von Mirjana und Klaus Wittmann; Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2013

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